| Veranstaltung: | Landesparteitag 08.11.2025 Völklingen |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 8. Anträge |
| Antragsteller*in: | LAG Migration & Integration (vertreten durch: Santino Klos & Sandra Steinmetz) (dort beschlossen am: 24.10.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
| Angelegt: | 23.10.2025, 18:53 |
A5: Ezid:innen im Saarland und bundesweit schützen: Abschiebestopp und Bleiberechtsregelung auf den Weg bringen!
Antragstext
Kürzlich haben die Fraktionen der CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag
von Nordrhein-Westfalen (NRW) eine Aufnahmeanordnung nach § 23 Abs. 1
Aufenthaltsgesetz auf den Weg gebracht (LT NRW Ds. 18/15906). Wir fordern den
Landtag des Saarlandes und die Landesregierung auf, diesem Beispiel zu folgen.
Konkret fordern wir die Landesregierung auf, ein Landesschutzprogramm für alle
Ezid:innen mit irakischer Staatsangehörigkeit zu schaffen, damit diesen einen
Aufenthalt nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz ermöglicht werden kann. In das
landesschutzprogramm sollen alle Ezid:innen aufgenommen werden, die derzeit
ausreisepflichtig sind, sich seit mindestens zwei Jahren im Saarland aufhalten,
aber nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels
oder sonstigen Bleiberechts erfüllen und bei denen kein Ausweisungsinteresse im
Sinne von § 54 besteht, sowie keine staatsschutzbezogenen Erkenntnisse
vorliegen. Voraussetzung ist das Einvernehmen des Bundesministeriums des Innern
und Heimat gemäß § 23 Absatz 1 Satz 3 AufenthG herzustellen. Das Ausüben einer
Erwerbstätigkeit soll ausdrücklich erlaubt sein.
Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, sich auf Bundesebene für
eine bundesweite menschenrechtsbasierte Bleiberechtsregelung für Ezidinnen und
Eziden einzusetzen, die ihrer besonderen Verfolgungsgeschichte gerecht wird.
Begründung
Im Jahr 2014 begann die Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS), weite Teile des Iraks unter Anwendung brutaler Gewalt zu kontrollieren. Die Herrschaft war geprägt von Terror, systematischen Menschenrechtsverletzungen und gezielten Angriffen auf Zivilistinnen und Zivilisten. In der Folge mussten
hunderttausende Menschen ihre Heimat verlassen, viele wurden Opfer schwerster Verbrechen.
Die ezidische Bevölkerungsgruppe wurde, insbesondere im Distrikt Sinjar, Ziel organisierter Verfolgung, sexualisierter Gewalt, Versklavung und Zwangsvertreibung. Dabei wurden massenhaft Erschießungen, Entführungen und die Zerstörung ganzer Dorfschaften und Heiligtümer durchgeführt. Die von dem IS vertriebenen Menschen waren aus Furcht um ihr Leben zur Flucht gezwungen. Viele Überlebende haben
schwere Traumata und Verletzungen erlitten. Auch im Saarland haben Ezidinnen und Eziden in der Folge Zuflucht und Schutz gefunden.
Im Januar 2023 erkannte der Deutsche Bundestag die im Irak begangenen Gewalttaten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ an den Ezidinnen und Eziden im Sinne des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes der Vereinten Nationen, als Genozid an. Der Bundestag fasste den Beschluss „sich mit Nachdruck zum Schutz jesidischen Lebens in Deutschland und ihrer Menschenrechte weltweit ein[zu]setzen“ (BTS Drs. 20/5228)
Die Region Shingal ist bis heute ein militärisch umkämpftes und politisch instabiles Gebiet. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen irakischer Zentralregierung, kurdischen Einheiten, welche eine entscheidende Rolle in der Befreiung besetzter Gebiete spielten, und verschiedenen (para-)militärischen Gruppen sorgen für eine andauernde Gefährdung der Zivilbevölkerung. So kam es im Mai 2022 durch eine Eskalation von Kämpfern erneut zur Vertreibung von ca. 10.000 Bewohnerinnen und Bewohnern Sinjars (1).
Der sogenannte Islamische Staat ist zwar militärisch geschwächt, aber nicht gänzlich besiegt: In Shingal und Umgebung existieren weiterhin Schläferzellen, die Anschläge verüben. Ezidinnen und Eziden sind nach wie vor Ziel von Hass, Diskriminierung und Übergriffen und sind nicht von den staatlichen Sicherheitsbehörden geschützt, was eine Rückkehr dorthin für Überlebende des Genozids unzumutbar macht.
Die Umsetzung des sogenannten Shingal-Abkommens von 2020 zwischen der Zentralregierung Iraks sowie der Regionalregierung Kurdistans ist weitgehend ins Stocken geraten (2). Das Ziel des Abkommens zur Stabilisierung und Wiederaufbau der Region Sinjar ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht erreicht. (3) Eine funktionsfähige Verwaltung und grundlegende Infrastruktur existieren nicht. Luftangriffe und terroristische Anschläge gehören zum Alltag. (4)
Die meisten Ezidinnen und Eziden könnten nur in eines der Flüchtlingslager im Nordirak zurückkehren, da ihre Dörfer zerstört, vermint (5) oder von fremden Milizen besetzt sind. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) sind etwa 200.000 Ezidinnen und Eziden dort nach wie vor in Lagern untergebracht, in denen teils katastrophale Zustände herrschen. (6)
Mit der Anerkennung des Völkermords durch den Deutschen Bundestag wurde nicht nur symbolisch, sondern konkret politisch Verantwortung übernommen. Diese Verantwortung macht auch vor dem Saarland nicht halt.
Logische Konsequenz wäre, dass das Saarland einen Abschiebestopp für Ezid:innen erlässt. Auch der Saarländische Flüchtlingsrat fordert dies mit Nachdruck. Dieser Forderung schließen wir uns entschieden an. Nordrhein-Westfalen kam dem bereits Ende 2023 nach.
Quellen:
(1) BAMF: Länderkurzinformation Irak, Die Situation der Jesidinnen und Jesiden, April 2025, S. 3-4,
(2) Human Rights Watch: Iraq: Political Infighting Blocking Reconstruction of Sinjar, June 2023 https://www.hrw.org/news/2023/06/06/iraq-political-infighting-blocking-reconstruction-sinjar
(3) IOM: Protracted Displacement in Iraq: Revisiting Categories of Return Barriers, Januar 2021, S. 23-40
(4) The New Humanitarian: In Iraq’s Sinjar, Yazidi returns crawl to a halt amid fears of Turkish airstrikes, February 2022 https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2022/2/10/Iraq-Sinjar-Yazidi-returns-halt-Turkish-airstrikesabgerufen am 13.08.2025
(5) Handicap International (HI): No safe recovery: The impact of Explosive Ordnance contamination on affected populations in Iraq, 2021, S. 16, https://www.hi.org/sn_uploads/document/Report2021_EO-Contamination-Iraq-EN-final.pdf
(6) IOM: Sinjar: Challenges and Resilience Ten Years after the Yazidi Genocide in Iraq, August 2024 https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2022/2/10/Iraq-Sinjar-Yazidi-returns-halt-Turkish-airstrikes