| Veranstaltung: | Landesparteitag 08.11.2025 Völklingen |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | 2.4. Leitantrag Bildung |
| Antragsteller*in: | LAG Bildung, Ortsverband Wadern, Ortsverband Halberg (dort beschlossen am: 23.10.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
| Angelegt: | 23.10.2025, 17:20 |
B1: Das Saarland muss Bildungsaufsteigerland werden: Bildungsgerechtigkeit stärken – die saarländische Bildungspolitik braucht eine neue Steuerung!
Antragstext
Wir wissen alle: Bildung entscheidet über unsere Zukunft. Und zwar über die
jedes einzelnen jungen Menschen hier wie über die Zukunft des Saarlandes -
gerade auch vor dem Hintergrund des auch bei uns vorherrschenden
Fachkräftemangels. In den letzten 10 Jahren ist die Qualität der schulischen
Bildung im Saarland,gemessen an den Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler,
rasant gesunken. Immer mehr junge Menschen verlassen die Schule ohne Abschluss –
doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren und mehr als in den meisten anderen
Bundesländern!1 Damit riskieren sie den Zugang zu Ausbildung, Arbeit und
gesellschaftlicher Teilhabe zu verpassen. Wer aus einem bildungsfernen oder
einkommensschwachen Elternhaus kommt, hat heute im Saarland deutlich schlechtere
Bildungschancen als in den meisten anderen Bundesländern. Das Saarland weist
zudem ausweislich der IQB-Bildungstrends in den letzten 12 Jahren die
schlechteste Entwicklung der Schüler*innenleistungen aller Bundesländer auf.
Wir Grüne fordern deshalb schon seit Jahren eine grundlegende Reform der
Qualitätssicherung und der Steuerung der Schulpolitik des Saarlandes nach dem
Good practice-Vorbild Hamburgs.
Kernelemente dieser Reform sind:
Neue Grundlage der Zuweisung von Personal und Sachleistungen an Schulen
werden soziale Daten und Kompetenzdaten der Schüler*innen. Schulen mit
mehr und stärker sozial belasteten Schüler*innen erhalten höhere
Zuweisungen. Die heutige saarländische Bildungspolitik ohne Sozial- und
Kompetenzdaten gleicht dagegen einem Blindflug.
Ein neues landeseigenes Qualitätsinstitut erhebt die Kompetenzstände aller
Schüler*innen in landeszentralen verbindlichen Lernstandserhebungen in den
Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch und gibt Schulen,
Klassen und auch Einzelschüler*innen Rückmeldung insbesondere auch
bezüglich des Förderbedarfs. (Bildungsmonitoring mit Schüler- und
Elternfeedback)
Auf dieser Basis können Schulaufsicht, Fortbildung und Qualitätsinstitut
als gemeinsames Unterstützungssystem auf der Basis gemeinsamer Ziele den
Schulen passgenaue kostenlose Unterstützungs- und Fördermaßnahmen anbieten
und Zielvereinbarungen treffen.
Auch wenn es hier um einen Kernbestand von Bildung (Deutsch, Mathematik,
este Fremdsprache Englisch oder Französisch) geht, bleibt der umfassende
Bildungsauftrag der Schulen, der auch Erziehung zur Nachhaltigkeit und
politische Bildung beinhaltet, natürlich bestehen.
Schule bleibt bzw. wird zum Wohlfühlort mit freundlicher Atmosphäre für
alle, wo wertschätzend miteinander umgegangen wird, wo aber die
grundlegenden Bildungsanforderungen nicht in den Hintergrund geraten und
gutes Lernen erleichtert wird. Hierzu gehört auch unbedingt eine die
Schülerinnen und Schüler aktivierende Pädagogik.
Wie die Erfahrungen des erfolgreichen Qualitätssicherungssystem in Hamburg und
auch die Erfahrungen anderer erfolgreicher Bundesländer gezeigt haben, ist die
Einführung einer neuen datenbasierten Steuerung ein unverzichtbarer Schlüssel
für ein leistungsfähiges Schulsystem. Zusätzlich zur neuen Steuerung ist im
Saarland jedoch auch die Verwirklichung einer Vielzahl von qualitätssteigernden
und die schulischen Rahmenbedingungen verbessernden Maßnahmen notwendig, wie
entsprechende Maßnahmen in Hamburg, die Empfehlungen im aktuellen Arbeitskammer-
Bericht „Bildungspolitik im Wandel“2 ebenso wie unsere eigene Expertise und
Erfahrungen belegen. Nur so kann das saarländische Schulsystem wirksam optimiert
werden. Übergeordnetes Ziel ist ein handlungs- und leistungsfähiges
Bildungssystem, das solide finanziert ist.
Hier einige weitere grundlegende qualitätssichernde
Maßnahmen:
Der Fachkräftemangel im Bereich der frühkindlichen Bildung im Saarland
stellt ein strukturelles Problem dar, das tiefgreifende Reformen und
Investitionen erfordert – insbesondere hinsichtlich der
Ausbildungsbedingungen, der Arbeitsbedingungen sowie der
gesellschaftlichen Anerkennung des Berufsfeldes.
Für Kitas und Schulen müssen einrichtungsscharfe Sozialindices als
Grundlage für die personelle Ausstattung eingeführt werden, um
Benachteiligung mit bedarfsgerechter Bereitstellung von Ressourcen zu
bekämpfen.
Eine zeitgemäße, sächliche Ausstattung ist Voraussetzung für motivierendes
Lernen. Lernräume müssen Wertschätzung ausdrücken und vielfältige,
schüleraktivierende Unterrichtsformen ermöglichen.
Weil Ganztag mehr sein muss als Aufbewahrung, wird eine Ganztagsbildung
benötigt, die Lern-, Lebens- und Erfahrungsräume verbindet und mehr
Chancengerechtigkeit ermöglicht. Dafür braucht es eine Personaloffensive
mit multiprofessionellen Teams, mehr Schulsozialarbeit und gezielter
Fortbildung für pädagogische Fachkräfte.
Ohne eine gute Personalversorgung bleibt das Erreichen anspruchsvollerer
pädagogischer Ziele Illusion. Deshalb ist anzustreben, dass in allen Kitas
und Schulen mindestens die durchschnittlichen deutschen
Personalisierungsstandards erreicht werden. Die Tatsache, dass die Lehrer-
Schüler-Relation im deutschen Durchschnitt an Gemeinschaftsschulen 12
beträgt, im Saarland dagegen 12,5,3 hat größere Klassen an saarländischen
Gemeinschaftsschulen zur Folge. Diese sind in der oberen Mittelstufe sogar
oft größer als die entsprechenden Gymnasialklassen, so dass derzeit
größere Qualitätsmängel unausweichlich sind.
Es sind dringend mehr Lehrkräfte gezielt zu rekrutieren und auszubilden.
Die sehr hohen Abbruchquoten in der Ausbildung sollten durch bessere
Begleitung und intensivere Betreuung bekämpft werden. Um Personalmangel
vorzubeugen, bedarf es einer langfristig angelegten
Personalentwicklungspolitik, die transparent Bedarfe und Möglichkeiten des
Quer- und Seiteneinstiegs offenlegt.
Multiprofessionelle Teams müssen strukturell gestärkt werden. Die
Schulsozialarbeit ist bedarfsgerecht auszubauen und mehr Stellen für
Schulpsychologie, IT- und Verwaltungspersonal sind bereitzustellen.
Probleme wie beispielsweise Absentismus und Mobbing müssen strukturell
angegangen werden, hier benötigen die Schulen sehr viel mehr
Unterstützung.
Status und Arbeitsbedingungen von Lehrkräften an Grund- und
Gemeinschaftsschulen, die Schulen mit besonderen Herausforderungen sind,
müssen wesentlich verbessert werden.
Vor allem leistungsschwache Schüler*innen sollten gezielter gefördert
werden, insbesondere auch durch eine zusätzliche Sprachförderung für alle
Kinder und Jugendliche mit Bedarf. Die Versorgung der Schulen mit
Sprachförderkräften muss stark verbessert werden. Auch eine kostenlose
Lernförderung in Form von Nachhilfeunterricht am Nachmittag hat sich
andernorts bewährt.
Die Sprachförderung im Vorschulbereich wird als immer wichtiger angesehen.
Wie in Hamburg sollte deshalb auf derBasis eines Screenings der vier Jahre
alten Kinder unbedingt eine Vorschulbesuchspflicht für Kinder, die eine zu
niedrige deutsche Sprachkompetenz aufweisen bzw. deren Sprachentwicklung
verzögert ist, eingeführt werden. Auch im Saarland sollten einheitliche
Diagnoseinstrumente zur Anwendung kommen.
Zur besseren Vorbereitung der Jugendlichen auf die berufliche Bildung muss
die Berufsorientierung ausgebaut und passgenauer ausgestaltet werden.
Daneben bedarf es zur Stärkung der dualen Berufsausbildung finanzieller
Anreize wie Fahrtkostenzuschüsse, die Erhöhung der Ausbildungsvergütungen
sowie die Förderung alternativer Modelle wie Teilzeit- oder modulare
Ausbildungen.
Auch an den beruflichen Schulen muss die Sprachförderung und der Einsatz
multiprofessioneller Teams ausgebaut werden.
Inklusive Schulen, in denen Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam
lernen können, benötigen ausreichend sonderpädagogisches Personal,
barrierefreie Lernumgebungen und eine Kultur der Wertschätzung von
Vielfalt.
Prozessbegleitende wissenschaftliche Evaluation ist bei allen wichtigen
bildungspolitischen Maßnahmen des Bildungsministeriums vorzusehen, um zu
prüfen, ob das, was getan wird, auch etwas nützt. Zugleich kann Evaluation
auch der Ansatz für Qualitätsgespräche zwischen Schulen und Schulaufsicht
bzw. Fortbildung sein, bei denen Daten reflektiert werden.
Was die Finanzierung der vorgeschlagenen bzw. geforderten Maßnahmen angeht, so
muss einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass Bildung kein Kostenfaktor,
sondern eine Zukunftsinvestition ist. Angesichts vielfältiger globaler und
demografischer Herausforderungen kommt einer stabilen und zukunftsorientierten
Bildungsfinanzierung eine Schlüsselrolle zu – insbesondere in wirtschaftlich
schwächeren Regionen wie dem Saarland. Hier wird auf die entsprechenden Aussagen
auch im Bericht der Arbeitskammer verwiesen.
Neben Finanzierungspotentialen sind auch größere Einsparpotentiale, zum Beispiel
in der Bildungsverwaltung, identifizierbar. Auch der Bildungscampus sollte unter
Einbeziehung der Schulen dringend einer Evaluation unterzogen werden. Neben
Haushaltsumschichtungen kann auch die Möglichkeit, den Transformationsfond zu
nutzen, als Finanzierungsquelle für bessere Bildung genutzt werden! Auch hier
sind wir mit der Arbeitskammer einer Meinung: Bildung muss nicht nur verbal,
sondern auch faktisch zur Priorität werden – konsequent, auf Dauer angelegt und
mit dem Mut zur Reform!
1 So verdoppelte sich von 2014 bis 2023 die Quote der saarländischen
Jugendlichen, die ohne Schulabschluss das Schulsystem verließen, von 4,9% auf
10% des Jahrgangs (Deutschland 2023: 7,2%)
2 Bericht der Arbeitskammer des Saarlandes: Bildungspolitik im Wandel.
Weichenstellungen für eine gerechte Gesellschaft, Saarbrücken 2025.
https://www.arbeitskammer.de/fileadmin/user_upload/AK_Download_Datenbank-
/Publikationen/Jahresberichte_und_Datenbaende/Jahresbericht_2025/AK_BadR_2025web-
_bf.pdf
3 Zahlen der KMK von 2023
Begründung
Die Entwicklung der Schülerkompetenzen im Saarland und die saarländische Bildungspolitik
Bestätigt fühlen wir uns in unseren Forderungen von dem im Juni dieses Jahres erschienene Bericht der Arbeitskammer „Bildungspolitik im Wandel“, in dem auch die „alarmierende Entwicklung“ bei den Schulabschlüssen thematisiert wird und eine „strategisch ausgerichtete Bildungssteuerung“ vorgeschlagen wird.1. Auch von dem jüngst erschienenen Bericht einer Enquete-Kommission im nordrhein-westfälischen Landtag zu notwendigen Schulreformen fühlen wir uns bestätigt!2
Die regelmäßigen Schülerleistungsuntersuchungen des IQB in den „Bildungstrends“ zeichnen ein klares und alarmierendes Bild: In keinem anderen Bundesland war die Entwicklung der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in den letzten 10 Jahren so negativ wie im Saarland.3 Immer mehr schwächere Schüler*innen („Risikoschüler*innen“) erreichen im Saarland aufgrund problematischer Unterrichtsbedingungen und mangels objektiver Leistungs- und Kompetenzrückmeldungen (die es in anderen Bundesländern gibt) nicht das notwendige Bildungsniveau, das ihnen Ausbildungsfähigkeit und eine zufriedenstellende Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt ermöglichen würde. Der Arbeitskammer-Bericht konstatiert sogar bei Schülerinnen und Schülern mit formal erfolgreichen Schulabschlüssen „gravierende Kompetenzdefizite“4, was den Wirtschaftsstandort ebenfalls gefährdet.
Wir Grüne haben in den letzten Jahren immer wieder in Veranstaltungen (eine davon mit dem Hamburger Bildungspraktiker Norbert Maritzen) und Pressemitteilungen auf diese Entwicklungen und das immer weniger erfolgreiche schulische Lernen im Saarland hingewiesen. Wir haben erreicht, dass die Saarbrücker Zeitung regelmäßig über die für das Saarland unablässig alarmierenden Problemanzeigen des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) der Kultusministerkonferenz (KMK) berichtet. Und unsere Gespräche mit der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer und der Arbeitskammer ergaben jeweils eine hohe Übereinstimmung mit unseren Einschätzungen.
Ganz wichtig war und ist uns in diesem Zusammenhang, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die steigende Anzahl von Schüler*innen, die nicht die Mindeststandards der KMK erreichen und deren Ausbildungsfähigkeit gefährdet ist, nicht in die Verantwortung von Schulen, Lehrkräften oder gar Schülerinnen und Schülern fällt. Die Negativentwicklung spiegelt kein individuelles Versagen, sondern fußt auf systemischen Mängeln und Schwächen, wie auch der AK-Bericht betont.5 Dass viele Schüler*innen im Saarland schlechter ausgebildet werden als anderswo, dafür ist die Politik des Bildungsministeriums verantwortlich!
Das Bildungsministerium hat bislang unzureichend auf die bekannten Problemlagen im saarländischen Bildungssystem reagiert. Trotz wiederholter Hinweise aus Wissenschaft, Praxis und IQB-Berichten fehlt eine kohärente Strategie, um die strukturellen Qualitätsprobleme anzugehen. Statt einer auf Daten gestützten Bildungssteuerung erfolgt die Ressourcenverteilung weiterhin unsystematisch und ohne soziale oder kompetenzbezogene Grundlage. Einzelne Maßnahmen werden zwar umgesetzt, bleiben jedoch isoliert und werden nicht systematisch evaluiert – was selbst die Arbeitskammer als „Flickwerk einzelner Maßnahmen“ kritisiert hat. Eine transparente Information der Schulen und der Öffentlichkeit über die spezifischen saarländischen Befunde des IQB bleibt bisher aus. Ressourcen werden mit der Gießkanne verteilt ohne Stützung auf soziale Daten und Kompetenzdaten. Ausnahme ist hier das Startchancenprogramm für circa 10% der Schulen, für die ein Bildungsmonitoring entwickelt werden muss, das allerdings ein Bundesprogramm ist. Ansonsten wird aus unserer Sicht der bildungspolitische Blindflug (eine Planung ohne Sozial- und Kompetenzdaten) fortgesetzt und der Schein aufrechterhalten, dass die schulische Welt im Saarland in Ordnung sei.
Die sogenannten funktionalen Kompetenzen, die in den Bildungsstandards für die Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch seit rund 20 Jahren definiert sind und die das Kernziel schulischen Lernens darstellen, sind im saarländischen Schulsystem weitgehend aus dem Blick geraten. Unter einer Kompetenz wird dabei die Fähigkeit verstanden, längerfristig (und möglichst lebenslang) verfügbares Wissen und Können in den jeweiligen Fachgebieten zur Lösung von Problemen und Aufgaben anwenden zu können. Daneben hat Schule natürlich auch personale und soziale Kompetenzen zu fördern. Im Saarland gibt es jedoch praktisch keine landeszentralen Lernstandserhebungen in verschiedenen Klassenstufen mit kompetenzdiagnostischen Aufgaben (im Fachjargon: Bildungsmonitoring) in den verschiedenen Klassenstufen. Und in den letzten Jahren mussten auch immer mehr Schüler*innen nicht mehr an landeszentralen Abschlussprüfungen teilnehmen. 2019 wurden die zentralen Abschlussprüfungen zum Erwerb des Haupt- und des Mittleren Schulabschlusses faktisch abgeschafft. Das Ergebnis: Kompetenzen werden kaum qualitativ gesichert überprüft.
Auch nach der Vollzeitschulpflicht stehen die Absolvent*innen saarländischer Schulen schlechter da als die große Mehrzahl der anderen Bundesländer und als der Länderdurchschnitt. Ein signifikant größerer Anteil der Auszubildenden (rd. 4 Prozentpunkte) als im Bundesdurchschnitt bricht im Saarland die duale Ausbildung vorzeitig ab. Und ein fast doppelt so hoher Anteil der Auszubildenden wie beispielsweise in Baden-Württemberg scheitert in der Abschlussprüfung. Auch im Vergleich zu Hamburg ist die Quote der nicht Erfolgreichen um mehr als 50% höher!6 Da verwundert es nicht, dass 2022 im Saarland 20,1% der jungen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren keinen qualifizierenden Berufsabschluss erworben haben (Bundesdurchschnitt: 19,1%).7
In den Bundesländern mit besseren IQB-Kompetenzwerten und -Entwicklungen der Schülerinnen und Schüler, z.B. Sachsen, Bayern und Hamburg, werden anders als im Saarland die Schüler*innen schon seit langem massiv durch ein leistungsfähiges Bildungsmonitoring und davon abgeleitete Fördermaßnahmen unterstützt. Diese Länder besetzen in der Regel die Spitzenpositionen bei den Schülerinnenleistungen im Länderranking.
Mit einem neuen Qualitätsinstitut und gemeinsamen Zielen die Schülerinnen und Schüler beim Kompetenzerwerb begleiten und unterstützen
Angesichts der beschriebenen Probleme fokussiert die Arbeitskammer in ihrem Bericht „systemische Defizite, die grundlegende Reformen erfordern“. Die Bildungssteuerung müsse strategisch ausgerichtet werden hin zu einer „systemischen Qualitätsentwicklung“. Benötigt werde ein Bildungsmonitoring als „lernorientierter Impuls“ mit transparenten Feedbackschleifen und konkreten Maßnahmen, um basale und funktionale Kompetenzen zu stärken.8
Wir Grüne haben uns schon 2022 im Landtagswahlprogramm angesichts des schon damals problematischen Abschneidens in nationalen Leistungsvergleichen für die Sicherung der Ausbildungsfähigkeit und die gezielte Verbesserung mathematischer und sprachlicher Kompetenzen ausgesprochen. Angestrebt wurde von uns die Durchführung von (gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern) landeszentralen verbindlichen Lernstandserhebungen vor allem in den Schlüsselfächern Deutsch und Mathematik in verschiedenen Klassenstufen. Diese sollten die Grundlage gezielter Förder- und Schulentwicklungsmaßnahmen bilden. Zusätzlich sollten mittelfristig die Lehrkräfte entlastet werden, indem die Testinstrumente ebenso wie die Rückmeldungen digital bereitgestellt werden. Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen sollte aus unserer Sicht eine neu zu schaffende Qualitätsagentur beauftragt werden.
Auch aus heutiger Sicht waren unsere damaligen Ziele richtig, doch zwischenzeitlich haben sich nicht nur die Ergebnisse der Leistungsuntersuchungen weiterentwickelt, sondern es liegt aktuell neues Erfahrungswissen über die Wirkungen eines guten und wirkungsvollen Bildungsmonitorings und seiner Bedingungen vor. Besonders beeindruckt hat die Fachwelt und uns die Entwicklung in Hamburg, das sich in den vergangenen Jahren mit einem vorbildlichen Bildungsmonitoring und vielen darauf basierenden Maßnahmen in Leistungsvergleichen stetig nach oben gearbeitet hat. Hamburg erreichte in der letzten IQB-Studie mit einer sozial vergleichsweise stark belasteten Schülerschaft im Leseverstehen Platz drei und ist auch in den anderen Kernkompetenzen in der Summe vom 14. auf den 6. Platz vorgerückt. In diesem Zusammenhang wurde eine gezielte Förderung von schwachen Schülerinnen und Schülern auf den Weg gebracht, dazu gibt es eine kostenlose Lernförderung in Form von Nachhilfeunterricht am Nachmittag und eine zusätzliche Sprachförderung für alle Kinder und Jugendliche mit Bedarf.
An dem Modell des Hamburger Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) sollte sich das neu zu errichtende Qualitätsinstitut im Saarland orientieren. Es sollte in allen Schulen und in allen Klassen flächendeckend in den Klassenstufen 2,4,5,7 und 9 Lernstandserhebungen aller Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch und Mathematik und ab Klassenstufe 5 auch Englisch und Französisch durchführen, um Schüler*innen in der Breite und Tiefe gezielt zu testen und in ihren Lernprozessen wirksam zu begleiten. Eine Zusammenarbeit mit einem anderen Bundesland könnte sich auch aus Kostengründen anbieten. Das neue Institut würde die Schülerbögen zentral auswerten und die Ergebnisse Schulen und Lehrkräften zur Verfügung stellen. Auf dieser Basis und der Grundlage von Sozialdaten können dann in den Schulen und Klassen datenbasierte Fördermaßnahmen eingeleitet werden. Eine stärker individualdiagnostische Nutzung wäre möglich und wünschenswert.
Von besonderer Bedeutung erscheint uns, dass im Saarland als kleinem Flächenland wie in Hamburg eine enge Zusammenarbeit (im Sinne einer systemischen Auswertung mit gemeinsamen Zielen) zwischen eigenständigem Qualitätsinstitut, Schulaufsicht, Fortbildung und Schulen möglich ist und deshalb aufgebaut werden muss – eine Zusammenarbeit, die aus Sicht der Bildungsforschung eine Gelingensbedingung für ein wirkungsvolles Bildungsmonitoring ist. Dafür müsste aber auch der Fortbildung im Saarland vom Ministerium wie in den Jahren zwischen 2000 und 2012 eine stärkere fachliche Eigenständigkeit gewährt werden. Damals war das Landesinstitut an der erfolgreichen Implementierung der Bildungsstandards und der damals neuen und inzwischen abgeschafften kompetenzorientierten Abschlussprüfungen sehr aktiv beteiligt und engagierte sich mit zahlreichen Schulbesuchen, bei denen Fachkonferenzen beraten wurden. Bildungsministerium und Fortbildungsinstitut arbeiteten an dem gleichen Ziel, das dann auch von den Schulen gerne akzeptiert wurde.
Die positiven Erfahrungen aus Hamburg widerlegen auch die Befürchtung, dass Lehrkräfte dauerhaft Bildungsmonitoring und Leistungstests ablehnten, weil sie sich kontrolliert fühlten. Leistungstests werden in Hamburg von der großen Mehrheit der Lehrkräfte sehr geschätzt, sie müssen nicht selbständig Ergebnisse eingeben und auswerten. Die Auswertung wird ihnen digital zur Verfügung gestellt.
Auch Eltern stehen bundesweit Leistungstests mehrheitlich positiv gegenüber. Mit Blick auf notwendige Reformen stimmen laut einer Umfrage des IW 65,6 Prozent der Befragten mit Kindern jährlichen, standardisierten Leistungstests zu, deren Ergebnisse zur Qualitätsverbesserung genutzt werden.9
1 Bericht der Arbeitskammer des Saarlandes: Bildungspolitik im Wandel, siehe oben, S. 81-92.
2 Aktuell hat eine Enquete-Kommission im Landtag Nordrhein-Westfalens parteiübergreifend einschneidende Schulreformen vorgeschlagen. „Im Kern wollen CDU, SPD, Grüne und FDP nämlich in großen Teilen das "Hamburger Modell" nach Nordrhein-Westfalen holen. In Hamburg hat es vor mehr als zehn Jahren eine einschneidende Schulreform gegeben. Mehr Ganztag, nur noch zwei weiterführende Schulformen und ein sehr intensives, digitales Bildungsmonitoring haben den Stadtstaat zu einer Art Labor gemacht: Hamburg ist aktuell das einzige Bundesland, das sich schrittweise in den meisten Bildungsvergleichen verbessert.“ Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-landtagskommission-empfiehlt-einschneidende-schulreformen-100.html
3 Ergebnisse der Bildungstrends: 31,2 % der saarländischen Neuntklässer*innen verfehlten 2018 in Mathematik den Mindeststandard für den mittleren Schulabschluss – im Bundesvergleich war das der drittletzte Platz. 2012 waren es noch 28,2 %. 2024 rutschten die saarländischen Neuntklässer*innen mit 39,6% auf den drittletzten Platz im Ländervergleich. Deutschlandweit waren es 34,1%, die den Mindeststandard verfehlten. Im Fach Deutsch scheiterte 2022 im Saarland wie in Deutschland insgesamt ebenfalls etwa jede*r dritte Neuntklässer*in bei den deutschlandweiten Tests des IQB an Mindeststandards für den mittleren Schulabschluss (MSA) im Bereich Lese- und Hörverstehen, mehr als jede*r Fünfte verfehlte diese im Bereich Rechtschreibung. Der Kompetenzrückgang war im Saarland in allen Kompetenzbereichen (im Leseverstehen, im Zuhören und in der Orthographie) stärker als im Bundesdurchschnitt. Im Fach Englisch 1. Fremdsprache konstatierte das IQB 2022 im Saarland als einzigem Bundesland keinen Anstieg der zuvor erreichten Kompetenzen. Nicht erreicht haben im Leseverstehen den Mindeststandard MSA 40,3% der saarländischen Schüler*innen (SL 2015: 33,6%; Deutschland 2022 gesamt: 14%), im Hörverstehen 20,5% (D gesamt: 14%). Das sind die mit Abstand höchsten Werte aller Bundesländer! Auch in Französisch 1. Fremdsprache wurden im Saarland 2022 sehr starke Kompetenzrückgänge zwischen 2015 und 2022 verzeichnet. Und auch in diesem Fach sind die aktuellen Werte im Land der Frankreichstrategie die niedrigsten im Bundesländervergleich!
4 Ebenda S. 84
5 AK-Bericht, S. 91
6 BIBB-Datentreport 2024, S. 166: Auch im Vergleich zum Bundesdurchschnitt ist die saarländische Quote rund ein Sechstel höher.
7 Ebenda, S. 277.
8 AK-Bericht, S.81-92
9 Quelle: Pressemitteilung des ISNM zum Bildungsmonitor 2025
Antrag in einfacher Sprache
Bildung entscheidet über unsere Zukunft – über die Zukunft jedes jungen Menschen und über die Zukunft unseres Landes. Im Saarland ist die Qualität der schulischen Bildung in den letzten Jahren stark gesunken. Immer mehr Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss – doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Besonders Kinder aus Familien mit wenig Geld oder Bildung haben schlechtere Chancen.
Das Saarland liegt laut aktuellen Studien im Bildungs-Vergleich der Bundesländer in den meisten Bereichen auf den hinteren Plätzen. Dies gilt besonders für die sehr wichtigen Fächer Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch. Deshalb brauchen wir dringend eine Bildungspolitik, die besser steuert, gezielter fördert und gerechter ist.
Wir Grüne fordern seit Jahren eine grundlegende Reform:
Unsere zentralen Vorschläge sind:
- Datenbasierte Steuerung der Bildungspolitik
Schulen sollen Personal und Mittel nach dem tatsächlichen Bedarf erhalten. Dafür müssen soziale Daten und Leistungsdaten der Schüler*innen erhoben werden. Schulen mit größeren sozialen Herausforderungen bekommen mehr Unterstützung.
- Ein saarländisches Qualitätsinstitut
Dieses Institut soll regelmäßig Lernstandserhebungen in Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch durchführen. So sehen Lehrkräfte, Eltern und Schulaufsicht, wo es Förderbedarf gibt und wie sich die Leistungen entwickeln.
- Gezielte Unterstützung und Fortbildung
Qualitätsinstitut, Schulaufsicht und Fortbildung sollen Hand in Hand arbeiten. Ziel ist, Schulen gezielt und wirksam zu unterstützen – mit hochwertigen, bedarfsgerechten Angeboten.
- Ganzheitliche Bildung
Neben den Kernfächern bleibt der umfassende Bildungsauftrag bestehen – mit Nachhaltigkeit, Demokratiebildung und sozialem Lernen. Schulen sollen Orte sein, an denen Schüler*innen gerne lernen und sich wohlfühlen.
- Mehr gut ausgebildetes Personal und bessere Arbeitsbedingungen
- Kitas und Schulen brauchen ausreichend Fachkräfte.
- Die Klassen dürfen nicht zu groß sein. Dies gilt besonders für die Gemeinschaftsschulen.
- Lehrkräfte müssen gut ausgebildet und begleitet werden.
- Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und Verwaltungspersonal müssen ausgebaut werden.
- Ganztagsbildung statt Ganztagsbetreuung
Ganztag darf nicht nur Betreuung sein. Kinder brauchen Ganztagsbildung mit Lern-, Lebens- und Erfahrungsräumen. Dafür braucht es mehr pädagogisches Personal und gute Konzepte.
- Frühe Sprachförderung
Kinder mit Sprachförderbedarf sollen früh erkannt und unterstützt werden. Dafür soll es einheitliche Tests geben, damit kein Kind ohne ausreichende Sprachkenntnisse eingeschult wird.
- Berufsorientierung und Ausbildung stärken
Jugendliche müssen besser auf Ausbildung vorbereitet werden. Dazu gehören gute Berufsberatung, finanzielle Unterstützung während der Ausbildung und neue Ausbildungsmodelle.
- Inklusion fördern
Kinder mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam lernen können. Dafür braucht es ausreichend sonderpädagogisches Personal und barrierefreie Schulen.
- Wissenschaftliche Begleitung
Maßnahmen des Bildungsministeriums sollen regelmäßig überprüft werden, um zu sehen, was funktioniert und wo nachgesteuert werden muss.
Bildung ist keine Ausgabe, sondern eine Investition in unsere Zukunft.
Das Saarland braucht eine stabile Bildungsfinanzierung und den Mut zur Reform.
Begründung
Die schulischen Leistungen im Saarland sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Immer mehr Schüler*innen erreichen die Mindeststandards in wichtigen Fächern nicht. Besonders betroffen sind Kinder aus sozial benachteiligten Familien.
Das zeigt: Unser Bildungssystem funktioniert so nicht mehr. Es fehlt an klarer Steuerung, Transparenz und gezielter Förderung. Schulen wissen oft nicht genau, wo ihre Schüler*innen stehen, weil keine regelmäßigen Lernstandserhebungen stattfinden.
Andere Bundesländer – vor allem Hamburg – haben gezeigt, dass es besser geht. Dort gibt es ein eigenes Qualitätsinstitut, das regelmäßig überprüft, wie gut die Kompetenzen der Schüler*innen in Deutsch, Mathematik und Englisch sind. Schulen mit vielen benachteiligten Kindern bekommen mehr Personal und Unterstützung. Das hat zu deutlich besseren Lernergebnissen geführt.
Im Saarland dagegen werden Mittel weiterhin nach starren Regeln verteilt – unabhängig davon, wie groß die Herausforderungen vor Ort sind. Das führt zu ungleichen Chancen. Gleichzeitig werden Maßnahmen selten wissenschaftlich überprüft und es fehlt eine langfristige Strategie, wie die Leistungen verbessert werden können.
Wir Grüne wollen deshalb eine neue Bildungspolitik, die sich an erfolgreichen Modellen orientiert und konsequent auf Qualität, Gerechtigkeit und Transparenz setzt.
Das Ziel ist klar: Jedes Kind im Saarland soll die Chance haben, erfolgreich zu lernen, seine Talente zu entfalten und einen möglichst guten Schulabschluss zu schaffen – egal aus welcher Familie es kommt.
Bildung ist kein Kostenfaktor, sondern eine Zukunftsinvestition. Wer heute in gute Bildung investiert, legt das Fundament für soziale Gerechtigkeit, Fachkräftegewinnung und wirtschaftliche Stärke von morgen.